Shared Space und Begegnungszonen

Neben den klassischen Shared-Space-Zonen hat sich mit den sogenannten Begegnungszonen nach Schweizer Vorbild inzwischen eine weitere Shared-Space-Variante etabliert. Da beide Konzepte in der Öffentlichkeit nicht selten zu Verwirrung führen, hier ein Versuch der Abgrenzung, auch wenn in der Praxis natürlich viele Mischformen vorkommen, denn Shared Space ist ja gerade kein Kochbuchrezept.

Allen Shared-Space-Varianten gemeinsam sind die folgenden Ziele, wenn auch mit unterschiedlicher Wichtung:

  • Reduzierung des Schilderwalds
  • Rückkehr zu mehr Eigenverantwortlichkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme
  • Entschleunigung des Autoverkehrs
  • Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere Reduzierung schwerer Unfälle
  • Geringere Lärm- und Abgasbelästigung
  • Aufwertung des Stadtraums

Sinn machen Shared-Space- und Begegnungszonen überhaupt nur nur an innerörtlichen Stellen, wo eine nennenswerte und halbwegs ausgewogene Konkurrenzsituation zwischen Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern besteht. Die Zone sollte räumlich begrenzt sein, weil beim Durchfahren die erhöhte Aufmerksamkeit der Autofahrer sehr schnell nachlässt. Es macht also keinen Sinn, einen ganzen Ortsteil zur Shared-Space-Zone umzubauen. Mehr als zweispurige Straßen sind wegen der zu hohen Verkehrslast und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit ebenfalls nicht geeignet. Problematisch sind auch Bereiche mit hohem Parkdruck, weil der ruhende Verkehr die Sicht auf Fußgänger und Kinder behindert. Die Koexistenz mit Straßenbahnen ist noch nicht ausreichend erprobt.

Entgegen einem landläufigen Vorurteil muß die Straßenverkehrsordnung keineswegs geändert werden, um ein Shared-Space-Pilotprojekt einzurichten, denn ohne Verkehrsschilder gelten die Vorschriften "Rechts vor Links", die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit, das Rechtsfahrgebot und die allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach $1 StVO selbstverständlich weiter.

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es zwischen klassischem Shared Space und Begegnungszonen allerdings gravierende Unterschiede. Es handelt sich dabei in der Praxis weniger um alternativ einsetzbare Modelle, sondern beide Konzepte sind für ganz unterschiedliche Verkehrssituationen geeignet:

Klassische Shared-Space-Zonen

Merkmale:

  • Keine Verkehrsampeln und keine Verkehrsschilder, oft auch keine Zebrastreifen
  • Niveaugleiche Gestaltung der gesamte Verkehrsfläche ohne Bordsteine
  • Höchstgeschwindigkeit: 50 km/h (normale innerörtliche Höchstgeschwindigkeit)
  • Alle Verkehrsteilnehmer sind gleichberechtigt, niemand darf aber den anderen unnötig behindern
  • Bauliche Maßnahmen zur Wahrnehmung als Gemeinschaftsfläche, Entschleunigungselemente, freie Sichtachsen, ggf. Blindenstreifen
  • Parken ist überall erlaubt, wenn niemand behindert wird, de-facto aber meist nur auf Randflächen möglich
  • Kombinierbar mit Kreisverkehren
  • Durch gleichmäßigere Geschwindigkeit und direkte Interaktion sind höhere KFZ-Verkehrsleistungen möglich als bei einer konventionellen Straße mit Ampelregelung
  • Erprobt für bis zu 24.000 Fahrzeuge/Tag (Drachten) bzw. 12.500 Fahrzeuge (Bohmte)

Klassische Shared-Space-Zonen eignen sich für zweispurige Durchgangsstraßen mit halbwegs ausgewogener Konkurrenz zwischen den Verkehrsgruppen. Es entsteht ein höherer Umbauaufwand als bei Begegnungszonen. Für Fern-Schwerlastverkehr kann es einen gewünschten Verdrängungseffekt geben, wenn großräumige Ausweichstrecken zur Verfügung stehen. Ein gutes Beispiel für eine klassische Shared-Space-Zone ist Bohmte.

Weit verbreitet ist das Missverständnis, klassische Shared-Space-Zonen seien nur etwas für Nebenstraßen mit wenig Verkehr. Das Gegenteil ist richtig. Moderman hat dieses Verkehrskonzept nämlich gerdade aus der Erfahrung heraus entwickelt, das in bestimmten innerörtlichen Bereichen die herkömmlichen Konzepte zur Verkehrsregelung nicht zu einer dauerhaften Senkung der Unfallzahlen führten.

Begegnungszonen nach Schweizer Vorbild

Merkmale:

  • Keine Verkehrsampeln und nur in Ausnahmefällen Verkehrsschilder
  • Niveaugleiche Verkehrsfläche ohne Bordsteine möglich aber nicht zwingend
  • Höchstgeschwindigkeit: 20 km/h
  • Fußgänger haben Vorrang, dürfen die gesamte Verkehrsfläche benutzen aber den Fahrzeugverkehr nicht unnötig behindern
  • Kinderspiele sind überall erlaubt
  • Fahrzeugführer dürfen die Fußgänger weder gefährden noch behindern, wenn nötig, müssen sie warten
  • Parken ist nur an markierten Stellen zulässig
  • Nur für Straßen mit geringem Fahrzeugverkehr geeignet

Begegnungszonen sind vor allem geeignet für Einkaufsstraßen, Flaniermeilen und Märkte, weniger für Durchgangsstraßen, weil die Verkehrsleistung für Autofahrer abnimmt. In der Schweiz sind sie rechtlich nur auf Nebestraßen zulässig. Wenn Fußwege bestehen bleiben, sind die Umbaukosten geringer als bei einer klassischen Shared-Space-Zone.

Verkehrsberuhigter Bereich

Zum Vergleich und zur Abgrenzung hier die wichtigsten Merkmale von verkehrsberuhigten Bereichen nach §42 StVO / Zeichen 325:

  • In der Regel niveaugleiche Gestaltung der gesamte Verkehrsfläche ohne Bordsteine
  • Fahrzeuge müssen ihre Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen (Schrittgeschwindigkeit)
  • Fußgänger haben Vorrang, dürfen die gesamte Verkehrsfläche benutzen aber den Fahrzeugverkehr nicht unnötig behindern
  • Kinderspiele sind überall erlaubt
  • Fahrzeugführer dürfen die Fußgänger weder gefährden noch behindern, wenn nötig, müssen sie warten
  • Parken ist nur an markierten Stellen zulässig
  • Nur für Straßen mit sehr geringem Fahrzeugverkehr und überwiegender Aufenthaltsfunktion vorgesehen
  • Städtebauliche oder Wohnumfeld-Gesichtspunkte sind nach der neuesten StVO-Novelle vom 1.9.2009 aus dem Kriterienkatalog ersatzlos gestrichen worden.

Insgesamt kann gesagt werden, dass die Begriffsbildung von "Shared-Space" und "Begegnungszonen" noch alles andere als abgeschlossen ist. Insbesondere der Begriff "Shared Space" hat eine etwas unglückliche Doppelbedeutung, einmal als eine Vision oder als Oberbegriff, zum zweiten aber auch als ein relativ konkretes Konzept zur Lösung von akuten städtebaulichen und verkehrlichen Problemen, wie es z.B. in Bohmte zu besichtigen ist. Auch bei den Begegnungszonen ist die Schweizer Deutung nicht in Stein gemeißelt, hier gibt durchaus auch Beispiele für die Vereinbarkeit mit mehr als nur geringem Verkehrsaufkommen.