Die sanitären Zustände in Berlin um 1850 müssen entsetzlich gewesen sein. Normale Sickergruben konnten die Abwässer eines mehrstöckigen Hauses nicht aufnehmen, ganz abgesehen davon, dass dafür in der Stadt gar nicht genug Platz vorhanden war. Gelegentlich wurden die Exkremente in einer geschlossenen Wanne im Keller gesammelt, meist aber einfach über den Rinnstein fortgespült oder von Frauen zur Spree getragen. In einem Bericht der Sanitätspolizei wird bemängelt, dass manche Leute ihre Notdurft in Hausfluren oder Hinterhöfen verrichteten. Neben der offensichtlichen Geruchsbelästigung war man sich zu dieser Zeit durchaus schon der gesundheitlichen Risiken dieser Mißstände bewusst.
Am 21.11.1838 erhielt der Banquier Moritz Karo vom Königlichen Polizeipräsidium die Konzession zum Betrieb einer Latrinenanstalt. Er ließ dafür große Pferdewagen bauen, die abends nach Berlin fuhren, um von den Häusern die gefüllten Nachteimer abzuholen und durch leere zu ersetzen. Jeder dieser geschlossenen Wagen konnte etwa 110 Eimer aufnehmen. Diese Eimer wurden entweder einzeln mit Stroh bedeckt, um das Ausschwappen zu verhindern, oder in Fässer umgefüllt. Auf dem Rückweg wurden die Eimer in der Düngpulverfabrik entleert und danach in der außerhalb der Stadt gelegenen Latrinenanstalt gewaschen und desinfiziert. Die Abfuhr eines Eimers kostete 1 1/2 Silbergroschen und konnte von Hausbesitzern im Abonnement bestellt werden.
Auf dieser Karte von 1831 ist vor der nord-östlichen Stadtgrenze eine Latrinenanstalt eingezeichnet.
Diese Latrinenanstalten waren in jeder Beziehung ein großer Fortschritt und der daraus gewonnene Dünger sehr begehrt. Schnell wurden weitere Firmen gegründet. 1856 übernahm B. Michaelis die "Concessionierte Latrinen-Anstalt M. Karo", vereinigte sie mit der "Neuen Latrinen-Anstalt des Polizei-Commissarius a.D. Remmin" und hob gleichzeitig den Abholpreis wieder auf dur ursprünglich genehmigten 1 1/2 Silbergroschen an, nachdem der Preis konkurrenzbedingt unter Druck geraten war. 1856 wurden die "Zweite Latrinenanstalt Carl Böttcher" und kurz darauf die "Große neue Latrinen-Anstalt Kreisch & Paelegrim" gegründet, die ein Jahr später vom Schneidermeister C. A. Fraude gekauft wurde.
Die Einzelabholung per Eimer war für die Hausbesitzer freiwillig, aber aufwendig und teuer. Auch die Abfuhr verlief nicht immer reibungslos, denn in den Polizeiberichten finden sich gelegentlich Unfälle mit umgekippten Wagen. Eine generelle Entsorgung aller privaten und industriellen Abwässer Berlins war so also nicht möglich. Erst ab 1878 begann man, die Abwässer mit Rohrleitungen aus der Stadt zu pumpen und auf Rieselfelder zu leiten.
Quellennachweis: "Acta des Königlichen Polizeipräsidii zu Berlin betreffend die Latrinen-Reinigngsanstalt des Moritz Karo / B. Michaelis & Co", Berliner Landesarchiv.